50 Jahre Jugendkantorei 2001

Auszug aus der Festschrift „50 Jahre Jugendkantorei“ (Artikel von 2001)

1951, als Adolf Graf, erster Landeskirchenmusikdirektor der Pfalz und kreativer Neuerer der Musica Sacra im Lande, die Evangelische Jugendkantorei der Pfalz gründete, herrschte Notstand. Der Krieg hatte auch die Kirchen ausgebrannt – personell, künstlerisch, geistig. Der Hunger nach Schütz und Bach überdauerte den nach Brot und Butter. Wo immer sich Dirigenten finden ließen, schwollen die Kirchenchöre zu imposanter Stärke. Die Gottesdienste „sangen“ wieder.

Zur Aufführung der großen Literaturen freilich reichten weder die Kapazitäten noch Budgets der lokalen Vereinigungen. Diese – neudeutsch formuliert – „Marktlücke“ hatte Adolf Graf klug erkannt: eine Herausforderung an, aber auch ein Forum für die Besten zwischen Westrich und Ludwigshafen. Nichts vergleichbares existierte weit und breit für den hochbegabten Nachwuchs. Wer Aufnahme fand, hatte zuvor seine Fähigkeiten auf mindestens einem Instrument, beim Blattsingen und in Musiktheorie überzeugend demonstriert. Schütz, Schein, Mozart, Bach und immer wieder Bach lieferten das „Futter“ zum Studium, allein 13 mal erklang 1956 die h-Moll-Messe.

Die Zeit brachte Wandel. Den mittlerweile vierten künstlerischen Leiter – KMD Jochen Steuerwald – der mit seinem nach wie vor als „Jugendkantorei“ firmierenden Ensemble in ebenso aufreibender wie inspirierender Konkurrenz zu Hochschul-, Landesjugend- sowie potenten Stadtchören agiert.

Längst haben Repertoire und Altersstruktur weite Flügel ausgespannt. Ersteres reicht vom späten Mittelalter bis zur Moderne (mit explizitem Schwerpunkt); das braucht die „Reifen“, vor allem in den tiefen Stimmen. Und sie gehen seit geraumer Zeit einen wunderbaren „Generationenvertrag“ mit der namengebenden Jugend der Kantorei ein.

Geblieben ist der Probenmodus – immer in den Ferien, zu projektbezogenen Studienphasen von mehreren Tagen, meist im festen „Domizil“, dem Johann-Sebastian-Bach-Haus in Klingenmünster. Darüber hinaus, auf regionaler Ebene, in „Stützpunkten“ über die ganze Pfalz verteilt. Durch den langjährigen Leiter Heinz Markus Göttsche entwickelt und stetig weitergeführt sind die Rahmenangebote der Studienwochen: Einzelstimmbildung, Chorleitung, Musiktheorie.

Und damals wie heute ist die Jugendkantorei ein Club für Leute mit Familiensinn. Galt sie zu Gründerzeiten (unter „uns Pfarrerstöchtern“ fast etwas boshaft betitelt) als das „größte Heiratsinstitut der Pfalz“, hat sie diese spezielle Qualität in modifizierter Form über die Jahre gerettet: Sie ist ein prächtig funktionierendes soziales Gebilde, in dem Freundschaften entwickelt und Toleranzen trainiert werden, interkonfessionell und zwischenmenschlich.

Und zwischen dem damals und heute? Da breiten sich die bewegenden Begegnungen mit Albert Schweitzer in Günzbach Mitte der 50er Jahre und dem hochaufflammenden „Prager Frühling“ wenige Wochen vor der niederschmetternden russischen Intervention im Sommer 1968. Da reihen sich Aufführungen der großen Oratorienwerke von Monteverdi bis Stravinsky in quasi allen Städten der Pfalz. Da finden sich Konzertreisen nach Österreich, Frankreich, Jugoslawien, Tchechoslowakei, Italien, Dänemark, Irland und in die Schweiz. Da leuchten die musikalischen Partnerschaften mit Sängergrößen wie Eva Bornemann, Herrad Werrung, Claudia Eder, Ortrun Wenkel, Aldo Baldin, Nigel Rogers, Bruce Abel und Jakob Stämpfli, nachgerade honorigen Orchestervereinigungen, so dem Kurpfälzischen Kammerorchester, der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, der Badischen Philharmonie und dem Barockorchester Michaelstein.

Auf Adolf Graf, den gütigen Gründer und „Former“, folgte der Charismatiker Heinz Markus Göttsche, der die Pflege des Bachschen Oeuvres vertiefte, aber auch in zwei epochale Richtungen hin erweiterte und die Jugendkantorei nach draußen, in die Welt führte – zu Chorwettbewerben, auf Tourneen. Und die Klangqualität des Chores zu unanfechtbarer Schönheit formte. Udo-R. Follerts kurze Amtszeit ließ der Romantik breiten Raum, unvergessen die „Christus-Trilogie“ von Felix Draeseke.

1995 erhielt Jochen Steuerwald sein Mandat. Blutjung, hochbegabt und überaus befähigt, hat er nach wenigen Jahren bereits Prägungen hinterlassen. Es kann und wird weitergehen, auch wenn das „Mutterhaus“, die Evangelische Landeskirche der Pfalz, ob der Kosten stöhnt und ganz froh ist, dass es mittlerweile einen wacker streitenden Freundeskreis aus Ehemaligen gibt.

Gertie Pohlit