Chorgeschichte

 

Die Anfänge

In den Trümmerjahren nach dem Zweiten Weltkrieg war das Bedürfnis der Menschen nach geistiger Nahrung und emotionalem Erleben groß. Die Kirchenchöre wuchsen rasch, überall fehlte es allerdings an qualifizierten Organisten und Chorleitern. So gründete Adolf Graf, ab 1949 hauptamtlicher Leiter des neu eingerichteten Amts für Kirchenmusik in Speyer, schon ein Jahr nach Kriegsende die Kirchenmusikalischen Seminare als Ausbildungsstätten für musikalisch begabte Jugendliche.

Die Evangelische Jugendkantorei der Pfalz wurde im September 1951 im Predigerseminar Landau im Rahmen einer Sommerfreizeit ebenfalls durch Adolf Graf gegründet. Aus Teilnehmern der Kirchenmusikalischen Seminare rekrutierte er einen Chor von zunächst rund 30 Sängerinnen und Sängern, der sich vor allem der Pflege anspruchsvoller Literatur – zum damaligen Zeitpunkt innerhalb der Evangelischen Landeskirche praktisch gar nicht repräsentiert – widmen sollte: den großen Oratorien, Motetten der Schütz-Zeit oder dem Kantaten-Werk Johann Sebastian Bachs etwa.

Bereits im Gründungsjahr 1951 trat die neue Kantorei aus Gymnasiasten, Studenten, jungen Pfarrern, Schulmusikern und Lehrern aus der Pfalz und dem Saarland bei drei Auftritten in Speyer an die Öffentlichkeit. In den 50er und 60er Jahren waren Konzerte der Jugendkantorei nahezu immer ausverkauft. Schon bald hatte der Chor eine Stärke von ca. 80 Mitgliedern erreicht, ein „Fundus“, der ermöglichte, bis zu 18 Auftritte pro Jahr zu absolvieren. Orgelweihen, kirchliche Festtage, Rundfunkaufnahmen sind da ebenso zu summieren wie die großen Oratorien-Konzerte, etwa die Bachsche h-Moll-Messe, die im Jahr 1956 allein fünfmal erklang.

Adolf Graf blieb bis zu seiner Pensionierung 1968 Leiter der Jugendkantorei. Der 1899 in Annweiler geborene und dort 1978 auch verstorbene Lehrer, Organist und Dirigent war 1955 in das neu geschaffene Amt des Landeskirchenmusikdirektors (LKMD) für den gesamten Amtsbereich der Pfälzischen Landeskirche berufen worden. Fortan sollte die Leitung der Jugendkantorei an diese Funktion gekoppelt sein. Träger war und ist bis heute die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche).

Unter Grafs Leitung reüssierte der Chor durch sein jugendliches Charisma und sein herausragendes klangliches Erscheinungsbild mit einem umfangreichen Repertoire. So konnte Grafs Nachfolger im Amt ein etabliertes Ensemble übernehmen.


Erweiterung des Repertoires

Im Januar 1969 wurde Heinz Markus Göttsche, 1922 im holsteinischen Beringstedt geboren, zum Nachfolger von Adolf Graf berufen. Göttsche, der an der Kirchenmusikhochschule Berlin studiert hatte, war zuvor Kantor in Mannheim gewesen und vor allem auch als brillanter Organist hervorgetreten. Mit ihm vollzog sich – fast unmerklich – ein Generationenwechsel auch innerhalb des Chors. Göttsche weitete das Repertoire stetig aus. Es reicht von den signifikanten Werken der Oratorienliteratur eines Monteverdi, Bach, Mozart, Mendelssohn und Brahms bis hin zu zeitgenössischen Komponisten wie Johannes Drießler, Krzysztof Penderecki oder Benjamin Britten. Zudem machte er die Jugendkantorei speziell während der 1970er Jahre durch Reisen innerhalb Deutschlands und ins benachbarte Ausland über die Grenzen der Pfalz hinweg bekannt. Erste Tonträger-Aufnahmen entstanden, Erfolge bei verschiedenen Chorwettbewerben rundeten die positive Bilanz ab.

Nach dem Ausscheiden Göttsches hieß der nächste Amtsinhaber und Leiter der Evangelischen Jugendkantorei der Pfalz ab 1987 Udo-R. Follert. Er legte den Schwerpunkt der Arbeit mit der Jugendkantorei auf die Epoche der Spätromantik, was in der Aufführung der Oratorien-Trilogie „Christus“ von Felix Draeseke seinen Höhepunkt fand.


Entwicklung von 1995 bis heute

1995 wurde Jochen Steuerwald unter einer großen Zahl von Bewerbern zum neuen künstlerischen Leiter der Jugendkantorei berufen. Steuerwald pflegt mit dem Chor ein breites Repertoire, das von frühbarocken Meistern wie Monteverdi und Schütz über bekannte und unbekanntere Meister des Hochbarock (Bach, Händel, Charpentier, Zelenka…), der Klassik (Mozart, Haydn, Schubert), der Romantik (Mendelssohn, Brahms, Bruckner…) bis zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts reicht (Strawinsky, Frank Martin, Berio, Francaix, Distler, Driessler, Kurt Thomas, Eduard Pütz, Kjell Mork Karlsen, Arthur Honegger, Naji Hakim, Fredrik Sixten u.v.m.). Auf neueren und neuesten Kompositionen liegt ein Arbeitsschwerpunkt des Chores, der seit 1995 mehrfach Auftragswerke uraufgeführt hat, etwa das abendfüllende „Kantorium“ für Soli, Chor und Sinfonieorchester des südafrikanischen Komponisten Roelof Temmingh. Für diese Komposition erhielt Temmingh den bedeutendsten südafrikanischen Kompositionspreis.

Unter Steuerwald sang die Jugendkantorei 2009 auf Einladung und in Vertretung des Thomanerchores in der Leipziger Thomaskirche und wurde für die Saison 2012/2013 vom Chefdirigenten Marcus Creed zum Patenchor des SWR Vokalensembles Stuttgart ernannt.

Die kontinuierliche, zielstrebige und akribische Arbeit des Chores wurde zuletzt mit einem ersten Preis beim Landeschorwettbewerb Rheinland-Pfalz 2013 sowie einem dritten Preis beim Deutschen Chorwettbewerb 2014, verbunden mit einem Sonderpreis für die hervorragende Interpretation eines deutschen Volksliedes, gewürdigt.

(frei nach Gertie Pohlit)